WG114 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, Sonntag, 25. Dezember 1910
M.[ein] geliebtes. Mein Herz
steht so offen. Ich bin immer
noch nicht offen genug. Ich muß
Dir alles sagen, alle Gedanken
Ängste, Zweifel an mir
an der Zukunft. Wir kennen
uns ja noch so wenig, haben
so weniges gesprochen, nur
bedeutungsvoll – glücklich
geschwiegen. Du mußt mehr
mit mir über diese Dinge
sprechen, mich Dein Vertrauen
fühlen lassen, mir von Deiner
Klugheit geben. Es geht vieles
durch meinen Sinn in
diesen Weihnachtstagen. Wieviel
gehört nicht zu einem glücklichen
Leben zu zweien. Wenn wir
alles überstehen, unser Ziel
erreicht haben, werde ich alles
notwendige besitzen, damit
wir in Frieden ein Kunst-
werk leben können. Du bist
gereift, hast schon ein Leben gelebt
bist mir immer einen Schritt
voraus. Was für Konsequenzen
werden sich für mich daraus
ergeben?, für mich als Mann?
\für meine männliche Autorität für
die ich so empfindlich empfinde./
Kennst Du mich denn, weißt
Du denn \meine Gropiusschen/ meine Fehler, – die
Grenzen meiner Natur. Liebst
Du mich so wie ich bin, nicht
wie ich sein sollte. Du hattest
ja kaum bisher Gelegenheit,
alles nachzuprüfen.
Auch für mich ist es
Herzenswunsch, von Dir kennen
gelernt zu werden.
Merke wol es ist alles der Verstand
der diese Fragen aufwühlt, nach Deiner
Antwort ruft und eine beruhigen-
de Bestätigung ersehnt. Mein
Gefühl hohnlacht darüber und
triumphiert über alle Gedanken.
Wir lügen uns weder selbst noch
einander an
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Willner
Klär.
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Meine Eltern waren still
u gerührt. , weil er alt u
krank ist, , weil das
junge Leben, meiner Schwestern
Kinder, um sie fehlten.
Ich war heiter, trotzdem mir
das Blut bis zum Halse
schlug u trotz großer innerer
Erregung. Ich fühlte mich
glücklich und fand wieder
den rechten Moment, um
alle Ketten des täglichen Lebens
abzuschütteln, auf eine
Höhe zu steigen und freie
Umschau zu halten, \frei/ zu
atmen und das Gute zu sehn.
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (3 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM49 vom 30. November und 3. Dezember 1910 (Ich habe keine Angst vor dem Kennengelernt zu werden, – für mich ist es Herzenswunsch, dass Du es thun mögest): Auch für mich ist es Herzenswunsch, von Dir kennen gelernt zu werden.
Datierung
Dieser Entwurf entstand während den Weihnachtstagen des Jahres 1910. Da auf WGs Liste abgesendeter Briefe am 25. Dezember die Nr. 16 vermerkt ist und in der Christnacht von 24. auf den 25. Dezember bereits WG113 verfasst worden war, wird für diesen Entwurf der 25. Dezember 1910 vorgeschlagen.
Übertragung/Mitarbeit
(Marie Apitz)
(Tim Reichert)
Willner – unbekannt.
Klär. – unbekannte Abkürzung.
Manna – Kosename von .